Anagnorisis

Anagnorisis (griechisch ἀναγνώρισις ‚Wiedererkennung‘, Betonung auf dem „o“) bezeichnet in der griechischen und römischen Literatur den Umstand, dass sich zwei Personen wiedererkennen.

Besonders häufig ist die Anagnorisis in der Tragödie (und dort vor allem bei Euripides), doch gibt es solche Szenen auch schon im Homerischen Epos (so z. B. in der Odyssee, als Odysseus von seiner Amme Eurykleia wiedererkannt wird und schließlich von seiner Gattin Penelope). Oft haben sich die Beteiligten jahrelang nicht gesehen, was das anfängliche Nichterkennen glaubhaft macht. Die Wiedererkennung gelingt schließlich durch bestimmte Erkennungszeichen (gr. gnōrísmata), in der Iphigenie bei den Taurern z. B. erkennt Iphigenie Orestes an einem Brief. Die Wiedererkennung geschieht bisweilen an entscheidenden Stellen des Dramas und bewirkt dann eine Peripetie (einen Umschwung der Handlung). So ist Iphigenie kurz davor, Orestes zu töten, bevor sie ihn erkennt; danach flieht sie mit ihm zusammen nach Hause.

Auch in der Komödie wird die Anagnorisis verwendet, so bei Plautus z. B. in den Menaechmi (wo Zwillinge nach der Geburt an verschiedenen Orten aufgezogen werden, ohne von der Existenz des jeweils anderen zu wissen; einer findet den anderen nach vielfachen komischen Verwechslungen wieder) und im Poenulus (in dem zwei karthagische Mädchen verkauft und von ihrem sie suchenden Vater als Hetären eines Kupplers wiedererkannt werden).


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