Dastgāh (persisch دستگاه; wörtlich übersetzt: „Ort der Hand“,[1] aber auch „System“, „Modus“, auch „Schema“, „Anlage“, „Instrument“, „Werkzeug“) ist ein unter anderem durch seine Tonabstände (Intervalle der zugrundeliegenden Tonleiter) charakterisiertes modales System in der traditionellen persischen Kunstmusik.
Es gibt prinzipiell sieben Dastgāhs (pers. Pl. dastgāh-hā) sowie fünf davon abgeleitete, Āwāz genannte weitere Modi (persisch متعلقات, DMG mota‘lleqāt, ‚die Zugehörigen‘). Daneben sind noch über 50 weitere Modusformen erhalten. Ein Dastgāh bzw. Āwāz ist ein durch seine tonale Substanz (der auch als Māye, persisch مايه, ‚Wesen, Grundlage‘, bezeichneten modalen Skala) und seine dazugehörigen Grundmelodien oder (Melodie-)Motive bzw. jeweils als Guscheh (persisch گوشه, DMG gūše, ‚Winkel, Ecke‘) im Sinne einer Art von Melodietypen, charakterisiertes System,[2] auf dessen Basis der Musiker improvisiert und deren Tradition im Radif-System ihren Niederschlag fanden.
Jeder Dastgāh enthält sieben grundlegende Tonstufen (Makrointervalle; Ganz- und Halbtöne) und dazu viele variable Töne (Mikrointervalle[3]; fälschlich „Vierteltöne“ genannt), die für die Verzierung (in der Vokalmusik als melismatisches taḥrīr bekannt) der Musik sowie zur Modulation verwendet werden. Jeder Dastgāh ist ein bestimmtes modales Variationsobjekt für die Entwicklung und vorbestimmt durch die vorhergehende Ordnung von Sequenzen. Dabei gibt es etwa 365 Guscheh genannte „atomare“ Melodien bzw. „melodische Ideen“ in Form von melodischen Linien mit bestimmten Motiven und Rhythmen,[4] welche in einer Art „zyklischer Entwicklung“ (persisch تكامل, DMG takāmol) innerhalb eines Dastgāh aufeinanderfolgen. Ein Musiker lernt diese durch Erfahrung und Zuhören. Die ganze Sammlung von Guschehs in allen Dastgāhs wird Radif genannt. Während des Treffens des Inter-governmental Committee for the Safeguarding of the Intangible Heritage der Vereinten Nationen am 28. September 2009 in Abu Dhabi wurden Radifs offiziell in die UNESCO-Liste immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.[5][6][7][8]
Der Dastgāh hängt mit dem Maqam der arabischen Musik, dem aserbaidschanischen Mugham, dem tadschikischen Schaschmaqom („sechs Maqame“) und dem uighurischen On Ikki Muqam („zwölf Maqame“) zusammen, wobei der Dastgah im Gegensatz zum Maqam und anderen nichtpersischen Konzepten immer formal an den Radif gebunden ist. Alle genannten Systeme haben ihre Wurzeln in der Musik der Sassaniden, die in der ganzen islamischen Welt aufgrund der arabischen Invasion im 7. Jahrhundert bekannt wurde. Theoretische Grundlagen des persischen Musiksystems finden sich ab dem 9. Jahrhundert vor allem in arabischsprachigen, zum Teil griechische Termini nutzenden, Werken (z. B. von al-Kindī, Al-Farabi oder Avicenna sowie Al-Masʿūdī, der – wie auch Ibn Chordadhbeh – bereits „sieben königliche Modi“, arabisch الطرق الملوكية, DMG aṭ-ṭuruq al-mulūkiyya, erwähnte).[9]
Das (seit Safi ad-Din al-Urmawi traditionell) zwölfteilige System[10] der Dastgāhs (bzw. gemäß Mirza Abdollah[11] sieben Dastgahs und fünf davon abgeleiteten Awaz[12][13]) und den darin enthaltenen Guschehs blieb nahezu unverändert, bis es im neunzehnten Jahrhundert festgeschrieben wurde, insbesondere durch Mīrzā ‘Abdollāh Farāhānī (1843–1918). Seit dieser Festschreibung wurde kein weiterer Dastgāh (und keine neue große Guscheh) entwickelt, da das vorhandene Modalrepertoire als „in sich vollkommen“ betrachtet wird.[14] Deshalb benötigt ein Dastgah-Musiker keine neuen Modalformen, sondern er bezieht seine Melodien aus dem vorhandenen Repertoire, dem Radīf des Mīrzā ‘Abdollāh. Aber auf Grund seiner Improvisationsfähigkeit, die er aus der Atmosphäre im Augenblick der Musikausübung schöpft, entstehen neue Melodien, die das Publikum in Spannung versetzen. Jeder Dastgāh wird mit einem spezifischen Gemütszustand (in der mittelalterlichen Musiktheorie und humoralpathologisch ausgerichteten Musiktherapie auch mit Elementen[15] und Tierkreiszeichen des Zodiak)[16] in Verbindung gebracht und dieser ist mitentscheidend für die im Rahmen einer Aufführung entstehenden und sich wechselseitig beeinflussenden Stimmungen bei Musizierenden und Zuhörern.[17]