Geschichte Polens

Heutiges Wappen der Republik Polen
Aspekte der territorialen Entwicklung

Die Geschichte Polens umfasst die Entwicklung auf dem Gebiet der Republik Polen und der historischen polnischen Reiche von der Urgeschichte bis zur Gegenwart. Die – ungeschriebene – Vorgeschichte Polens umfasst zahlreiche slawische Stämme, Burgen, Siedlungen und Grabstellen. Eine genaue ethnische Zuordnung ist unsicher.[1] Die heutige Unwissenheit über Polens Ursprünge ist Folge der Quellenarmut des 10. Jahrhunderts, das in der historischen Forschung als „dunkles Jahrhundert“ bezeichnet wird.[2]

Die – geschriebene – Geschichte Polens beginnt im Jahr 963, in dem der polnische Herzog Mieszko, lateinisch Misaca († 992), durch Widukind von Corvey in einer lateinischen Chronik als fähiger Herrscher erwähnt wird.[3] Mieszkos freiwillige Annahme des Christentums, durch die Taufe 966, führte zur Christianisierung Polens und schützte das Land vor Fremdmissionierung. Aus seinem Herzogtum, zu dem angeblich ein Stamm der Polanen gehörte,[4] ging das durch Kaiser und Papst anerkannte und gegen Ende der Epoche der Piasten (960–1386) fest etablierte Königreich Polen hervor.

Die polnische Kirche entwickelte sich unabhängig von der Reichskirche und stand in direkter Verbindung zur Römischen Kurie. Der britische Historiker Norman Davies bezeichnete die offizielle Annahme des Christentums als „das bedeutendste Ereignis der polnischen Geschichte“.[5][6]

Seit dem Spätmittelalter bis in die Neuzeit bestand durch eine Personalunion eine dynastische Verbindung mit Litauen. Ab 1386 brachte die Union mit dem Großfürstentum Litauen unter dem von dort stammenden Herrschergeschlecht der Jagiellonen (1386–1572) den Aufstieg zu einer europäischen Großmacht, deren Staatsgebiet od morza do morza („von Meer zu Meer“), von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, reichte.

Ab 1569 wurde die Union Polens mit Litauen in einem gemeinsamen Staat gefestigt. Die von 1572 bis 1795 bestehende Adelsrepublik manifestierte sich als Wahlmonarchie. Im 16. und 17. Jahrhundert entstand dort eine hohe parlamentarische Kultur mit umfangreichen Adelsrechten. Dies führte zu einer starken Identifikation des Adels, des Magnats (Hochadel) und der Szlachta (Landadel), mit dem Land. Die sich verstärkenden strukturellen Missstände, bedingt durch zahlreiche Kriege mit Nachbarstaaten, Bürgerkriege und Aufstände der ukrainischen Kosaken, der Unwille zur Reform bei den Verantwortungsträgern, dazu Egoismen bei mehreren Wahlkönigen und im Adel, führten zur Schwächung des polnischen Staates. Die diplomatische und militärische Einmischung der Nachbarstaaten, des Kaiserreichs Russland, Preußens und der Habsburgermonarchie, bewirkte schließlich den vollständigen Zusammenbruch des Staates durch drei Teilungen in den Jahren 1772, 1793 und 1795.

Dadurch verschwand Polen von 1795 bis 1918 als souveräner Staat von der Landkarte Europas. Kennzeichen der Teilungszeit sind niedergeschlagene Aufstände – in den Jahren 1830, 1848 und 1863 – und sehr unterschiedliche Entwicklungen in den drei Teilungsgebieten. Die polnische Kultur überlebte diese Zeit trotz fremdstaatlicher Unterdrückung und der eigenen Staatenlosigkeit.[7]

Nach der staatlichen „Wiedergeburt“ als Zweite Republik nach Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918 war die polnische Geschichte durch eine mühsame staatliche Reorganisation und mehrere militärische Konflikte mit nahezu allen Nachbarstaaten gekennzeichnet. Die beiden Diktatoren Hitler und Stalin vereinbarten im Zusatzprotokoll des Ende August 1939 geschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes die erneute Aufteilung Polens. Auf den Überfall auf Polen der Wehrmacht, den Beginn des Zweiten Weltkriegs, und die sowjetische Invasion Ostpolens folgten Jahre der deutschen und der sowjetischen Besetzung. Im Zweiten Weltkrieg starben etwa sechs Millionen Polen. Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht wurde das nach Westen verschobene Polen unter massivem sowjetischem Einfluss eine Volksrepublik und Teil des Ostblocks und ein (für die Sowjetunion nicht immer bequemer[8]) Satellitenstaat. Die Revolutionen im Jahr 1989 machten den Weg frei für die Dritte Republik; diese wurde 1997 Mitglied der NATO und 2004 der Europäischen Union.

Von 2004 bis 2023 entwickelte sich Polens Wirtschaft bemerkenswert. Nach dem EU-Beitritt 2004 erlebte das Land ein starkes Wirtschaftswachstum, getrieben durch Investitionen, Exporte und EU-Fördermittel. Das BIP pro Kopf stieg deutlich an, die Arbeitslosigkeit sank. Polen überstand die globale Finanzkrise 2008 relativ gut und war das einzige EU-Land ohne Rezession. Die Wirtschaft diversifizierte sich, mit wachsenden Dienstleistungs- und Technologiesektoren. Das starke Wirtschaftswachstum und die sinkende Arbeitslosigkeit führten zu einem allgemeinen Anstieg des Lebensstandards und einer Vergrößerung der Mittelschicht. Viele Polen profitierten von höheren Löhnen und besseren Beschäftigungsmöglichkeiten, insbesondere in den wachsenden Dienstleistungs- und Technologiesektoren.

2023 konnte in den Parlamentswahlen die liberal-konservative Bürgerkoalition unter Führung von Donald Tusk die Mehrheit erringen. Die neue Regierung Tusk initiierte Reformen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz und setzte sich für die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit ein. Dies führte zu einer Verbesserung der Beziehungen zur EU und der Freigabe von 137 Milliarden Euro an EU-Mitteln. Polen wendet sich damit von der autoritären Politik der vorherigen PiS-Regierung ab und strebt nach einer stärkeren Integration in die EU unter Tusk.

  1. Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Stuttgart 2008, S. 17 f.
  2. Gerhard Lubich: Das Mittelalter. Paderborn 2010, ISBN 978-3-506-76582-6, S. 84.
  3. Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Stuttgart 2008, S. 16.
  4. Johannes Fried: Gnesen, Aachen, Rom. Otto III. und der Kult des hl. Adalbert. Beobachtungen zum älteren Adalbertsleben. In: Michael Borgolte: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“. Akademie Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-05-003749-0 (Europa im Mittelalter 5), S. 235–279, Sebastian Brather: Völker, Stämme und gentes im RGA. Archäologische Interpretationen und ethnische Identitäten. In: Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Altertumskunde – Altertumswissenschaft – Kulturwissenschaft: Erträge und Perspektiven nach 40 Jahren Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. De Gruyter, Berlin, Boston 2012, ISBN 978-3-11-027360-1, S. 414 sowie Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter. (= C.H. Beck Wissen 2709). Verlag C.H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-61137-7, S. 14 f. halten die Existenz eines polanischen Stammes für sehr zweifelhaft. Brather, der sich auf die aktuelle polnische Forschung beruft, spricht von einer Erfindung.
  5. Norman Davies: Geschichte Polens. München 2006 (4. Auflage), S. 263. In seinem Werk Heart of Europe. A Short History of Poland (1984) schrieb er (S. 255): Mieszkos baptism in ad 965 was the first step in the formation of the single most important element in modern Polish culture. ISBN 978-0-19-873060-6.
  6. Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Stuttgart 2008, S. 25.
  7. Norman Davies: Geschichte Polens. München 2006, S. 238 ff.
  8. Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens. Stuttgart 2008, S. 342.

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