Holomorphe Funktion

Ein rechteckiges Gitter wird mit der holomorphen Funktion in sein Abbild übergeführt. Obwohl sich das Gitter unter der Abbildung verdreht, bleiben die rechten Winkel zwischen den abgebildeten Linienpaaren erhalten. Eine wesentliche Eigenschaft der Holomorphie ist ihre Winkeltreue.

In der Mathematik sind holomorphe Funktionen (von altgriechisch ὅλος holos „ganz, vollständig“ und μορφή morphē „Form, Gestalt“) komplexwertige Funktionen (Abbildungen von komplexen Zahlen in komplexe Zahlen), die in der Funktionentheorie, einem Teilgebiet der Mathematik, untersucht werden. Eine komplexwertige Funktion mit Definitionsbereich heißt holomorph, falls sie an jeder Stelle von komplex differenzierbar ist.

Die aus der Schulmathematik bekannten Rechenregeln zum Ableiten vormals reeller Funktionen gelten dabei weiterhin für komplexe Funktionen, obgleich der Holomorphiebegriff viel weitreichendere Konsequenzen nach sich zieht. Anschaulich bedeutet Holomorphie, dass sich die betroffene Funktion an jeder Stelle „fast“ wie eine aus mathematischer Sicht leicht zu verstehende (komplexwertige) lineare Funktion verhält. Erstmals eingeführt und studiert wurden holomorphe Funktionen im 19. Jahrhundert von Augustin-Louis Cauchy, Bernhard Riemann und Karl Weierstraß, obgleich sich die Terminologie der Holomorphie erst im 20. Jahrhundert flächendeckend durchsetzte. Besonders in älterer Literatur werden solche Funktionen auch „regulär“ genannt. Aufgrund ihrer breiten Anwendungsmöglichkeiten zählen sie zu den wichtigsten Funktionstypen innerhalb der Mathematik.

Durch die Möglichkeit der Linearisierung in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs können für holomorphe Funktionen , wobei die Menge der komplexen Zahlen bezeichnet, sehr fruchtbare Resultate hervorgebracht werden. Anschaulich kann die mathematische Rechenvorschrift in der Nähe jedes Wertes ihres Definitionsbereichs sehr gut durch die lineare Funktion angenähert werden. Die Annäherung ist dabei so gut, dass sie für die lokale Analyse der Funktion bzw. der Rechenvorschrift ausreicht. Das Symbol bezeichnet dabei die komplexe Ableitung von in . Auch wenn diese Definition analog zur reellen Differenzierbarkeit ist, zeigt sich in der Funktionentheorie, dass die Holomorphie eine sehr starke Eigenschaft ist. Sie produziert eine Vielzahl von Phänomenen, die im Reellen kein Pendant besitzen. Beispielsweise ist jede holomorphe Funktion bereits beliebig oft differenzierbar und lässt sich lokal in jedem Punkt in eine Potenzreihe entwickeln. Das bedeutet, dass man die betreffende Funktion in ihrem Definitionsbereich lokal durch Polynome annähern kann, also unter Verwendung nur der vier Grundrechenarten, wobei zur Konstruktion dieser Polynome nur die Ableitungen der Funktion in einem einzigen Punkt, dem Entwicklungspunkt, benötigt werden. Besonders bei transzendenten holomorphen Funktionen, wie Exponentialfunktionen, trigonometrischen Funktionen (etwa Sinus und Kosinus) und Logarithmen, aber auch bei Wurzelfunktionen, ist dies eine sehr nützliche Eigenschaft, etwa dann, wenn man diese Funktionen und ihre Ableitungen im Entwicklungspunkt gut versteht. Dabei ist zu beachten, dass die genannten Funktionen natürliche Fortsetzungen von den reellen in die komplexen Zahlen besitzen.

Hintergrund der Begriffsstärke der Holomorphie ist, dass die Differenzierbarkeit im Komplexen auf einer offenen „Fläche“ statt nur einem offenen Intervall gelten muss. Dabei müssen beim Grenzübergang zum Differentialquotienten unendlich viele Richtungen (alle Kombinationen aus Nord, Ost, West und Süd) betrachtet werden – eine höhere Anforderung als nur die beiden Richtungen „positiv“ und „negativ“ auf dem reellen Zahlenstrahl. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wurde darauf aufbauend im Rahmen der Funktionentheorie ein eigener Rechenkalkül für holomorphe Funktionen entwickelt. Während Begriffe wie Ableitung, Differenzenquotient und Integral weiterhin existieren, kommen zusätzliche Eigenschaften zum Tragen. Dies betrifft das Abbildungsverhalten holomorpher Funktionen, zusätzliche Techniken in der Integrationstheorie oder auch das Konvergenzverhalten von Funktionenfolgen.

In vielen Teilgebieten der Mathematik bedient man sich der starken Eigenschaften holomorpher Funktionen, um Probleme zu lösen. Beispiele sind die analytische Zahlentheorie, in der über holomorphe Funktionen auf Zahlen rückgeschlossen wird, sowie die komplexe Geometrie oder auch die theoretische Physik. Besonders im Rahmen der Theorie der Modulformen nehmen holomorphe Funktionen eine wichtige Position ein, wobei tiefe Verbindungen zur Darstellungstheorie und zu elliptischen Kurven aufgebaut werden können. Gleich zwei Millennium-Probleme der Mathematik, die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer und die Riemannsche Vermutung, drehen sich um das Nullstellenverhalten gewisser holomorpher Funktionen.


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