Naturalismus (Philosophie)

Der Naturalismus ist die Auffassung, dass die Welt als ein rein von der Natur gegebenes Geschehen zu begreifen ist. Er geht davon aus, dass alles natürliche Ursachen hat und dass es nichts Übernatürliches gibt. Diese Annahme, die oft auch durch den Spruch „Alles ist Natur“ pointiert wird, lässt für sich genommen offen, wie der Begriff der Natur zu umgrenzen ist. Versteht man unter Natur allein die physische Natur, so ergibt sich aus dem Spruch „Alles ist Natur“ eine materialistische oder physikalistische Position. Derartige Theorien vertreten, dass auch der Geist oder das Bewusstsein Teil der physischen Natur sei oder alternativ gar nicht oder höchstens als Illusion existiere.

Die naturalistische Position geht auf die griechische Antike zurück: Natur (physis) bezeichnete hier all das, was nicht vom Menschen geschaffen ist. Der Mensch selbst ist ein Naturwesen wie alle anderen Kreaturen auch. Auch spätere Veränderungen eines natürlichen Gegenstandes (z. B. pflügen, zerlegen, hegen) machten aus ihm keinen Kulturgegenstand. Dies galt allein für das komplexe Zusammenfügen natürlicher Komponenten zu vollkommen neuen Werken (z. B. Werkzeuge, Kunstwerke, Bauwerke). Die Naturvorstellung einiger antiker Philosophen entspricht in gewisser Weise der intuitiven Leitkategorie des alltäglichen Denkens.[1]

Als Naturalismus kann seit dem frühen 17. Jahrhundert jede Lehre bezeichnet werden, die allein die Natur zum Grund und zur Norm aller Erscheinungen erklärt. Dies entstand vor allem aus der Motivation heraus, sich von übernatürlichen Phänomenen im religiösen Sinne abzugrenzen. Ein so verstandener Naturalismus lehnt etwa die Existenz von Wundern und übernatürlichen Wesen ab.

Bei modernen naturalistischen Theorien seit Anfang des 20. Jahrhunderts steht jedoch oft der Begriff der Naturwissenschaft und nicht der Begriff der Natur im Vordergrund. Dabei wird argumentiert, dass die Naturwissenschaften zu den grundlegenden Beschreibungen der Strukturen der Welt führten und in diesem Sinne philosophischen, geisteswissenschaftlichen und alltäglichen Methoden überlegen seien. Für einen Naturalisten in diesem Sinn sind die Naturwissenschaften für die Beschreibung und Erklärung der Welt „das Maß aller Dinge“.[2]

Der Supranaturalismus ist eine zum Naturalismus konträre Gegenposition, die insbesondere im Zusammenhang mit Offenbarungsreligionen vertreten wird.

  1. Gregor Schiemann: 1.5 Natur – Kultur und ihr Anderes. In: Friedrich Jaeger, Burkhard Liebsch (Hrsg.): Handbuch der Kulturwissenschaften, Band 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe. J. B. Metzler, Stuttgart / Weimar 2004, ISBN 3-476-01881-4, S. 64.
  2. Wilfrid Sellars: Science, Perception and Reality. Routledge and Kegan Paul, London 1963, ISBN 0-924922-50-8, S. 173.

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