Petrographie

Die Petrographie (von altgriechisch pétros (πέτρος) „Stein“ und gráphein „schreiben“) ist die beschreibende Wissenschaft von den Gesteinen. Sie liefert mit detaillierten Objektbeschreibungen eine empirische Grundlage, ohne die das wissenschaftliche Verständnis von Gesteinen nicht möglich wäre. Im Anschluss an eine makroskopisch orientierte Frühphase (bis ca. 1866)[1] begann durch die intensive Nutzung des Polarisationsmikroskops[2] eine rasante Erfolgsgeschichte der Petrographie.[3][4] Es etablierte sich „das Mikroskop als Grundlage aller Petrographie“.[5] Andere Untersuchungsmethoden kamen und kommen ergänzend hinzu (siehe unten).

In ihrer Frühphase tauchte als Alternativbezeichnung für „Petrographie“ kurz das Wort „Lithologie“ (von lithos (λίθος) „Stein, Gestein“ und lógos „Wort, Vernunft“) auf.[6] Dieses Synonym hat sich nicht durchgesetzt. Der Ausdruck „Lithologie“ ist veraltet und wird im Bereich Petrographie schon sehr lange nicht mehr verwendet.

Die Petrographie ist keine Teildisziplin der Petrologie.[7] Beide sind als separate wissenschaftliche Sparten innerhalb des Fachs Mineralogie weitgehend eigenständig, mit klar unterschiedenen Themen, Fragen und Erkenntniszielen.

Es geht in der Petrographie um eine möglichst interpretations- und deutungsarme neutrale Sichtung und Dokumentation empirischer Sachverhalte: um die Bestimmung des Mineralbestands von Gesteinen sowie die genaue Charakterisierung der Gesteinsgefüge, vor allem im lichtmikroskopischen Vergrößerungsbereich. Hinzu kommt die Aufgabe, die beschriebenen Gesteine adäquat zu benennen und zu kategorisieren. Die Petrographie bemüht sich also um ein sinnvolles Ordnen der verschiedenen Gesteine, schon bevor deren physikalisch-chemische Entstehungsmechanismen im Detail geklärt sind. Die grobe Zuordnung eines Gesteins zu den drei großen Gruppen „magmatische Gesteine“, „metamorphe Gesteine“ oder „Sedimentgesteine“ ist in den meisten Fällen allerdings schon aufgrund des bloßen petrographischen Befunds problemlos möglich.

Das Ziel der Petrologie ist dagegen die physikalisch-chemische Entschlüsselung der Entstehungswege von Gesteinen, d. h. die exakte Erforschung petrogenetischer Prozesse.[8][9] Letzteres kann man erst sinnvoll angehen, wenn die Petrographie ihre Arbeit zumindest in Grundzügen getan hat, d. h. wenn klar ist, wie ein Gestein beschaffen ist (Zusammensetzung und Gefüge), dessen Genese man physikalisch-chemisch detailliert klären möchte.

Die Tatsache, dass Petrographie und Petrologie sich getrennt voneinander entwickelt haben und sich jeweils als etwas eigenes definierten, hat ihren Grund nicht nur in den ganz unterschiedlichen Fragestellungen. Sie hat auch eine wissenschaftsgeschichtliche Ursache. 1866 erschien der voluminöse zweibändige Klassiker von Ferdinand Zirkel „Lehrbuch der Petrographie“. Diese befand sich als beschreibende Wissenschaft also bereits 1866 in einem präsentablen Zustand.[10] Im gleichen Jahr war an eine adäquate physikalisch-chemische Erklärung von petrogenetischen Prozessen – dem Thema der künftigen Petrologie – nicht einmal ansatzweise zu denken. Petrologie ist eine Anwendung physikalisch-chemischen, speziell thermodynamischen Denkens auf natürliche Systeme.[8][9] Ein zentraler Aspekt ist hier die physikalisch-chemische Phasenlehre. Letztere war 1866 noch lange nicht entwickelt.[11][12] Die Petrologie ist als Wissenschaftssparte daher wesentlich jünger als die Petrographie.

Im Gang der Erkenntnis ist die Petrographie der Petrologie also zunächst vorgeschaltet. In der Folge kommt es dann aber vor, dass die Petrographie Fragen von der Petrologie gestellt bekommt. Im Zuge von Theorie-Entwürfen zur Gesteinsentstehung können sich sehr spezielle Detailfragen bezüglich des Gesteinsgefüges ergeben. Das gilt speziell dann, wenn ein theoretisch denkbarer Gesteinsbildungsmechanismus A ein anderes Gefügebild im Gestein zur Folge hätte als ein denkbarer Alternativmechanismus B. In solch einem Fall kann das beobachtbare Gefügebild zum Entscheidungskriterium zwischen zwei oder mehreren diskutierten Gesteinsbildungsmechanismen (petrogenetischen Theorie-Entwürfen) werden. Man geht dann mit einer präzisen Frage von der Petrologie zurück zur Petrographie, um den zuvor vorhandenen allgemeinen petrographischen Gefüge-Befund unter dem betreffenden neuen Aspekt zu präzisieren. Rückfragen der Petrologie an die Petrographie können sich auch aus anderen Gründen ergeben.[13] Solch mögliche Rückfragen ändern aber nichts an der logisch klaren Trennung zwischen Petrologie und Petrographie. Es gibt keinen Grund, beide zu vermischen oder als Einheit aufzufassen.

Die Hauptfragen der Petrographie lauten:

  • Wie sind die verschiedenen Gesteine genau zusammengesetzt? (Mineralbestand des jeweiligen Gesteins, Zusammensetzung eines eventuell vorhandenen Glasanteils)
  • Wie kann man vorgehen, wenn bei der Feststellung des Mineralbestands unüberwindliche Probleme auftauchen? (Thema „Normberechnungen“)
  • Wie sehen die jeweiligen Gesteine genau aus, vor allem im mikroskopischen Vergrößerungsbereich? (Wachstums- und Verwachsungsformen der Kristalle im Gestein, Gefügemerkmale verschiedenster Art)
  • Wie lassen sich Gesteine sinnvoll benennen und klassifizieren?
  • Welche Terminologie ist zur Beschreibung von Gesteinsgefügen sinnvoll?
  1. Felix Ronner: Systematische Klassifikation der Massengesteine. Springer-Verlag, Wien 1963; hier: S. 181–186.
  2. Der Zeitpunkt, an dem das Mikroskop (bald danach dann das Polarisationsmikroskop) zum relevanten und einige Jahre später allgemein dominierenden Hilfsmittel in der Petrographie wurde, lässt sich ziemlich genau angeben. Als historische „Initialzündung“ gilt die Arbeit: Ferdinand Zirkel: Mikroskopische Gesteinsstudien. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Classe. Band 47, Wien 1863, S. 226–270, mit Abbildungen auf 3 Tafeln. In dieser Arbeit wird die Herstellung von Gesteins-Dünnschliffen in Grundzügen erläutert.
  3. Felix Ronner: Systematische Klassifikation der Massengesteine. Springer-Verlag, Wien 1963; hier: S. 228–237.
  4. Ferdinand Zirkel: Lehrbuch der Petrographie. Zweite, gänzlich neu verfasste Auflage, 1. Band, Verlag Engelmann, Leipzig 1893, 845 S.; hier: Vorwort: S. III.
  5. Felix Ronner: Systematische Klassifikation der Massengesteine. Springer-Verlag, Wien 1963; hier: S. 235–237.
  6. Johann Reinhard Blum: Handbuch der Lithologie oder Gesteinlehre. Verlag Enke, Erlangen 1860, 356 S.; hier: S. 1. (Digitalisat)
  7. Wimmenauer beginnt sein Petrographie-Standardwerk mit dem Satz: „Petrographie - und nicht Petrologie - der magmatischen und metamorphen Gesteine ist das Thema des hier vorgelegten Buches“. Man konzentriert sich in der Petrographie „auf eine überwiegend beschreibende Darstellung“; Wolfhard Wimmenauer: Petrographie der magmatischen und metamorphen Gesteine. Verlag Enke, Stuttgart 1990, hier: Vorwort: Seite V.
  8. a b Wimmenauer: Petrographie der magmatischen und metamorphen Gesteine. 1990; hier: S. 1.
  9. a b Thomas F. W. Barth: Theoretical petrology. Verlag Wiley, 2. Auflage, New York 1962, XI + 416 S.
  10. Die Ausgabe von 1866 (Erstausgabe) wird noch dominiert vom makroskopischen Erfahrungsschatz der älteren Petrographie. In der 2. Auflage (1893) wurde die in den Folgejahren rasant ansteigende Zahl an polarisationsmikroskopischen Gesteinsuntersuchungen zum dominierenden Gesichtspunkt der Petrographie. Das Werk wurde von Zirkel daher vollkommen umgeschrieben.
  11. Der Begriff der Entropie stammt aus dem Jahr 1865 ( Clausius), die grundlegenden Arbeiten von Gibbs mit dem Phasengesetz aus den Jahren 1876–1878 (in deutscher Übersetzung erst 1891). Erst nachdem dieses physikalisch-chemische Begriffsinstrumentarium erarbeitet und in weiteren Kreisen bekannt war, konnte eine Wissenschafts-Sparte zur physikalisch-chemischen Erklärung von Gesteinsbildungsprozessen, die heutige „Petrologie“, überhaupt in Angriff genommen werden. Die beschreibende „Petrographie“ dagegen stand in der Zeit von etwa 1873–1885, was die Resultate polarisationsmikroskopischer Arbeiten betrifft, bereits in voller Blüte. Für die makroskopisch beschreibende Petrographie gilt das gleiche schon 1866 (Zirkels „Lehrbuch der Petrographie“ in der Erstausgabe).
  12. Ähnliches gilt für viele andere physikalisch-chemische Grundbegriffe und Diskussionsgesichtspunkte, die man benötigt, um die Entstehung von Gesteinen naturgesetzlich adäquat erklären zu können. Fragen zu physikalisch-chemischen Gleichgewichten oder aber Ungleichgewichten gehören zum Beispiel hierher.
  13. Ein spezielles, für metamorphe Gesteine fundamental wichtiges Beispiel hat Winkler genannt: Helmut G. F. Winkler: Petrogenesis of metamorphic rocks. Springer-Verlag, 5. Auflage, New York, Heidelberg, Berlin 1979, X + 348 S.; hier: S. 28–30.

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