Die Prototypensemantik ist eine spezielle Semantik (Bedeutungslehre), die aus der Prototypentheorie abgeleitet wurde.
Demnach werden Begriffe (Wörter) verwendet, um ein Objekt einer bestimmten Bedeutungs-Klasse zuzuordnen. So steht z. B. der Begriff „Vogel“ für eine ganze Klasse sehr verschiedener Vögel. Die Prototypentheorie geht davon aus, dass eine Klasse nicht scharf umrissen ist, und dass es einen besonders typischen Vertreter einer Klasse – einen Prototyp – gibt. Ein Objekt wird als Mitglied in so einer Klasse betrachtet, wenn es dem Prototyp der Klasse ähnlicher ist als dem Prototyp einer anderen Klasse. Als Beispiel: Eine Amsel entspricht eher dem Prototyp eines Vogels, als ein Pinguin. Bzw. dem Pinguin fehlen Merkmale, die man von einem typischen Vogel erwarten würde.[1]
Die Prototypensemantik beschreibt die quantitative Abstufung der Zugehörigkeit von Entitäten (konkreten Objekten) zu Kategorien (Klassen), wobei sich der Grad der Zugehörigkeit aus dem „Abstand“ zum Prototyp ergibt. Prototypen sind also normative Kategorie-Elemente und definieren das Zentrum der Kategorie. Z. B. ein Pinguin hat einen größeren Abstand zum Prototyp eines Vogels, als die Amsel. Die Prototypentheorie postuliert, dass viele Alltagsbegriffe im Gehirn (zusammen mit einigen erlaubten Variationen) als Prototypen gespeichert werden.
Die Prototypensemantik unterscheidet sich von der herkömmlichen Denkweise, dass Bedeutungs-Klassen (Kategorien) scharf umrissen sind und man über die Zugehörigkeit eindeutig entscheiden kann, indem man die dafür erforderlichen Merkmale abprüft (Merkmalssemantik). Ein Beispiel für diese Klassifizierung durch Definition ist z. B. „Wenn es Federn und einen Schnabel hat und fliegen kann, dann ist es ein Vogel.“ In Experimenten zeigte sich jedoch, dass Menschen manche Vogelarten (insbesondere Singvögel) signifikant eher als Vögel einsortieren als randständige Arten wie Huhn, Strauß oder Pinguin. Es gibt also Kategorie-Mitglieder, die als typische Vertreter gelten dürfen, während die Einordnung bei untypischen Vertretern deutlich schwerer fällt.
Je größer aber die Abweichung vom Prototyp ist, desto länger dauert es, z. B. bei Reaktionszeitexperimenten, zu entscheiden, ob ein Objekt zu einer bestimmten Klasse gehört oder nicht. Um einen Pinguin oder einen Strauß der Klasse der Vögel zuzuordnen, benötigt man demnach mehr Zeit, als für die Zuordnung eines Spatzes.[1]
Der Effekt der quantitativen Abstufung tritt selbst bei scheinbar eindeutigen Begriffen wie „Junggeselle“ oder „gerade Zahl“ auf.[2]
Die Prototypentheorie wurde in den 1970er Jahren von Eleanor Rosch und ihren Mitarbeitern entwickelt. Sie vereint Erkenntnisse der Psychologie und der Linguistik.